Ansprache von Pfarrerin Anne Lüters
zum Lichterzeichen - Schweigegang in der Innenstadt von Freising
am 10.02.2008

Über sechzig Mal aufbrechen, schweigen, beten, innehalten. Über 60 Mal Stören und aufstören. Über sechzig Mal Aufstehen gegen die dritte Startbahn, auch nach der Einwendungsfrist. Wir sind heute hier, weil wir davon überzeugt sind, dass sich hartnäckiges gewaltfreies Aufstehen lohnt, dass die Gewalt und Raubau an der Natur und an den Menschen unserer Region abgewendet werden kann. Langer Atem zahlt sich aus. In dieser Hoffnung stehen Sie heute hier, dafür stehe ich heute hier.

Ein Zeichen dafür, dass der geduldige Widerstand Früchte trägt, ist für mich Kalkar. Sie kennen Kalkar nicht? Dann geht es Ihnen wie mir vor einigen Wochen. Dabei ist Kalkar ein wunderbares Hoffnungszeichen. In den achtziger Jahren als sogenannter "Schneller Brüter" geplant und gebaut, ist dieser Atomreaktor dank des hartnäckigen Widerstands der Bevölkerung nie in Betrieb genommen worden. Heute befindet sich dort ein Freizeitpark - was für ein schönes Bild! - Schwerter zu Pflugscharen der modernen Zeit. Kalkar ist für mich ein Hoffnungszeichen auch für unsere Region. Ich wünsche mir nicht, dass Freising ein zweites Kalkar wird. Es muss nicht erst so weit kommen, dass die Startbahn gebaut und dann umgewidmet wird, es muss nicht erst so weit kommen, dass Millionen von Euro in den Sand gesetzt werden. Aber ich wünsche mir, dass später einmal der Name Freising, wie heute der Name Kalkar, für erfolgreichen Widerstand steht. Dass Menschen anderer Städte durch uns hören: Widerstand ist möglich! Wenn 80000 sich wehren und nicht leise werden, dann hat das Zukunft. Langer Atem zahlt sich aus!

Heute, am ersten Sonntag der Passionszeit, lasen wir in der evangelischen Kirche das Evangelium von der Versuchung Jesu und seinen Widerstand dagegen: Gegen die Versuchungen des Geldes, gegen die Versuchung der Macht und der Illusion, alles machen zu können.

Ich wünsche mir, dass Freising einmal dafür steht, dass Widerstand gegen die Versuchung möglich ist

  • gegen die Versuchung eines Wachstums über alle Grenzen hinaus

  • gegen die Verlockung des Geldes, mit dem die FMG sich so großzügig Stillschweigen und Grundstücke kauft

  • gegen die Versuchung der Resignation, des "da kann man ja doch nichts machen"

  • gegen die Versuchung der Angst vor Gesichts- und Machtverlust

  • gegen die Versuchung, es allen Recht machen zu wollen, der leider auch einige in meiner Kirche verfallen und die sie meiner Meinung nach abbringt von ihrem Auftrag, an der Seite der Schwachen zu stehen und für den Schutz der bedrohten Schöpfung einzustehen.

Ich möchte gegen die Versuchungen meinen Glauben an einen Gott stellen, der den Menschen heilsame Grenzen setzt und den Schutz seiner Schöpfung will vor unnötigem Raubbau und Ausverkauf. Und ich will gegen diese Versuchungen meinen Traum stellen davon, wie diese Region noch in 30 Jahren aussehen kann:

Ich träume davon, dass in Attaching und Eittingermoos auch in 30 Jahren noch Häuser gebaut werden, weil die Ortschaften so lebenswert sind.

Ich träume davon, dass sich die Menschen in Langenbach und Berglern noch auf den Straßen unterhalten können, ohne ständig durch den Fluglärm unterbrochen zu werden.

Ich träume davon, dass in Marzling und Vötting Eltern Kinder noch unbeschwert auf der Straße spielen lassen können, ohne Angst haben zu müssen, die Emissionen der vielen Flugzeuge könnten ihre Gesundheit schädigen.

Ich träume von einer Gesellschaft, in der die Qualität eines Unternehmens nicht nur an seinen Erfolgszahlen gemessen wird, sondern an seinem besonnen Umgang mit der Natur und seinem Einsatz für die Menschen der Region.

Ich träume von Menschen, die ihre Grenzen kennen und achten, weil sie erfahren haben: Nicht alles, was wir tun können, tut uns auch gut.

Diesen Traum möchte ich der Versuchung von Geld, Macht und Machbarkeit entgegenstellen. Und ich weiß, ich träume ihn nicht allein - Sie alle träumen ihn mit.

"Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, so ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit." Amen.

Anne Lüters