Besinnung gestaltet von Prof. Dr. Michael Besch
zum Lichterzeichen - Schweigegang
am 05.07.2009


Prof. Dr. MICHAEL BESCH


Hohenbachernstrasse 23
D-85402 Kranzberg

Andacht nach dem Lichterzeichengang am 5. Juli 2009

Gedanken über die dritte Seligpreisung in der Bergpredigt „ Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen “ ( Mt. 5,5 ) .

Im Matthäus-Evangelium wird im 5. bis 7. Kapitel über die Bergpredigt berichtet, die Jesus Christus am Beginn seines Wirkens in Galiläa in der Nähe des Sees Genezareth gehalten hat. Diese Bergpredigt beginnt in der von Matthäus über-lieferten Fassung mit 10 Seligpreisungen, von denen die dritte lautet : „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen“. ( In der öku-menischen Einheitsübersetzung von 1980 wird als alternative Fassung formuliert : „Selig sind, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben “. )

Damit stehen wir vor Verheißungen, die uns in der heutigen Zeit tief ergreifen, die uns aber zugleich als sehr unwahrscheinlich vorkommen. Sollen die Sanftmütigen, die Friedfertigen, die Gewaltlosen einmal Herren und Besitzer dieser Erde sein, die ja doch – wie wir es täglich erleben – von den Starken, den Rücksichtslosen, den Gewalttätigen beherrscht, ausgebeutet und beschädigt wird ?

Können diese Verheißungen denn jemals Wirklichkeit werden, welche unsere Erde – das wird jeder einräumen – in ein Paradies verwandeln würden ?

Beim Versuch, diese Fragen zu beantworten, wollen wir uns einem der frühesten Befürworter der Gewaltlosigkeit zuwenden, nämlich dem chinesischen Philosophen Laotse, der im sechsten vorchristlichen Jahrhundert gelebt hat. Von ihm ist lediglich ein kleines Buch mit 81 Sprüchen überliefert, das der Sage nach auf dem Weg des Laotse in die Emigration entstanden sein soll, wo ein Zöllner den Gelehrten gebeten haben soll, seine Weisheit nicht mit sich fortzunehmen sondern ihm aufzuschreiben.

Über diese Begebenheit gibt es ein schönes Gedicht von Berthold Brecht, das gleichzeitig die Lehre des Laotse in einem kurzen Satz zusammenfasst. Diese Stelle lautet so :

Doch am vierten Tag im Felsgesteine hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt :

„ Kostbarkeiten zu verzollen ? “ – „ Keine “.

Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach : „ Er hat gelehrt ! “

Und so war auch das erklärt.

Doch der Mann in einer heitren Regung fragte noch : „ Hat er was rausgekriegt ? “

Sprach der Knabe : „ Dass das weiche Wasser in Bewegung mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt. Du verstehst, das Harte unterliegt. “

( Berthold Brecht : Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration. )

„ Dass das weiche Wasser in Bewegung mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt. “

In diesem Satz steckt meiner Ansicht nach eine kurze, aber präzise Beschreibung der Kraft des gewaltlosen Widerstandes, die wir auch auf uns beziehen können.

Das Wasser gilt seit alters her als Symbol der Weichheit, der Sanftheit, aber auch der Reinheit und der Beständigkeit . Oder, wie es bei Laotse heißt :Auf der ganzen Welt gibt es nichts Weicheres und Schwächeres als das Wasser. Und doch in der Art, wie es dem Harten zusetzt, kommt nichts ihm gleich. Es kann durch nichts verändert werden. “
( Taoteking, Spruch 78. )

Entscheidend ist demnach die Art, wie das weiche Wasser dem harten Fels zusetzt: durch die ständige Bewegung, durch seine Menge und die Ausdauer über eine lange Zeit.

Mit diesen Worten lassen sich meiner Meinung nach die bekannten erfolgreichen Kampagnen des gewaltfreien Widerstandes charakterisieren, bspw. die Aktionen des Mahatma Gandhi in Indien ebenso wie die Friedensgebete und Lichterzüge in Leipzig , Berlin und in anderen Städten der ehemaligen DDR.

Ja, und auch unsere Lichterzeichengänge entsprechen diesem Vorbild :

Wir gehen friedlich und schweigend mit unseren Lichtern durch die Strassen, wir halten Andacht und wir tun dies nun schon seit mehr als zwei Jahren ohne Unterlass an jedem Sonntagabend.

Und die brennenden Lichter führen uns wieder zurück zur Bergpredigt, von der wir ausgegangen sind. Gleich nach den Seligpreisungen spricht Jesus Christus zu seinen Jüngern und Zuhörern die folgenden Worte ( Mt. 5, 15 – 16) :

„ Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel ( das ist ein Gefäß, das zum Messen von Getreide, aber auch zum Auslöschen von Lampen benutzt wurde ) sondern man stellt es auf einen Leuchter, dann leuchtet es allen im Haus. Also lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen. “

So wollen wir darum bitten, aber auch dafür arbeiten, dass die Friedfertigkeit und die Gewaltlosigkeit unter den Menschen, aber auch die Umsicht und die Bewahrung gegenüber der Schöpfung bei uns allen immer mehr zunimmt und anwächst, damit eines Tages vielleicht doch die Sanftmütigen das Erdreich besitzen werden !

Michael Besch